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Slavisches Seminar

Literatur und Kunst vor Gericht

SNF-Forschungsprojekte: Literatur und Kunst vor Gericht (2011-2017)

Das Forschungsprojekt befasste sich mit Gerichtsprozessen gegen literarische und künstlerische Werke sowie deren Autoren und Kuratoren; ein besonderer Fokus liegt auf der russischen Literatur und Kunst seit 1990.
Grundlage der Analyse bilden die Dokumente der Gerichtsprozesse (Anklageschriften, Verteidigungsschriften, Gutachten der Experten aus Literatur- und Kunstwissenschaft, Protokolle von Zeugenaussagen, Urteile), die Inszenierung der Gerichtsprozesse (öffentlich versus nichtöffentlich, Auftritte der Ankläger, Verteidiger, Richter, Zeugen, Rolle des Publikums) und die mediale Inszenierung ausserhalb des Gerichtssaales.
In diachroner Perspektive soll untersucht werden, welchen Stellenwert die Freiheit der Kunst in unterschiedlichen politischen Systemen hat, welche Vergehen wann und warum ‚Konjunktur‘ haben und wie sich der Kunstbegriff in Korrelation zum Rechtsverständnis und umgekehrt entwickelt. Dabei soll die problematische Unterscheidung von Intertextualität versus Plagiat, Appropriation versus Copyright, Mimesis versus Verletzung der Persönlichkeitsrechte, Fluch und Schimpf als literarische Rede versus Blasphemie als zwei Seiten einer Medaille, d.h. als künstlerisches Verfahren und als (Straf)-Tatbestand analysiert werden.
In synchroner Perspektive soll über einen internationalen Vergleich gezeigt werden, wie – insbesondere seit 1990 – die Grenzen der Freiheit von Kunst und Literatur immer wieder neu abgesteckt werden: zum einen durch den Einfluss neuer politischer und religiöser Ordnungen, zum anderen durch die stetige Erprobung neuer künstlerischer und technischer Verfahren.

Das Projekt "Literatur und Kunst vor Gericht: Fokus Osteuropa" baute auf dem Projekt "Literatur und Kunst vor Gericht" auf und hat dieses um zwei neue Forschungsgebiete erweitern: erstens um eine komparatistische Perspektive und zweitens um die stärkere Fokussierung auf jene Formen von Gerichten, die in sozialistischen Ländern neben der Judikative existierten und die die Mehrheit der Fälle von Nachzensur ausgemacht haben. Wir bezeichnen diese Gerichte als "alternative Gerichtsbarkeiten" und meinen damit einerseits Laiengerichte und die sogenannten Kollegengerichte und, andererseits, schriftliche und mündliche Selbstkritiken und Denunziationen sowie die damit verbundenen Anklage-, Geständnis- und Diskussionsrituale im Bereich der Kunst und Literatur. Diese neue Forschungsperspektive soll es uns ermöglichen, juridische und quasijuridische Aushandlungsprozesse und Debatten über Literatur und Kunst vergleichend analysieren zu können. Dabei sollen Strategien und Verfahren zur Etablierung sozialistischer Literatur- und Kunstbegriffe auf der einen Seite und Taktiken und Argumente zur Verteidigung künstlerischer Autonomie auf der anderen Seite in transnationaler Perspektive systematisch erforscht werden.
Das Forschungsprojekt setzte sich aus drei Subprojekten zusammen, die jeweils ein areales Forschungsfeld in den Blick nehmen, dieses aber immer vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse der anderen Arbeiten beleuchten. Subprojekt 1 beschäftigt sich mit alternativen Gerichtsbarkeiten in der Sowjetunion zwischen 1920 und 1990 im Bereich der bildenden Kunst. Subprojekt 2 konzentriert sich auf die Wechselwirkung zwischen Gerichtsprozessen und alternativen Gerichtsbarkeiten gegen Kunst, Literatur und Film in der Republik Jugoslawien in den 60er und 80er Jahren, Subprojekt 3 beschäftigt sich mit alternativen Gerichtsbarkeiten und Gerichtsprozessen in den baltischen Sowjetrepubliken, vor allem in der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik.

Projektleitung: Prof. Dr. Sylvia Sasse
Mitarbeiter: Dr. Sandra Frimmel, Dr. des. Matthias Meindl, Mara Traumane M.A.

Konferenz: Kunsturteile & Urteilskünste. Literatur und Kunst vor Gericht

Vom 14.-16. März 2013 fand im Rahmen des Projekts die Internationale Tagung in Kooperation von Universität Zürich und Gessnerallee statt, die sich mit ästhetischen und juridischen Debatten um Literatur und Kunst vor Gericht befasste. Eingeladen wurden international renommierte wissenschaftliche Referent:innen aus unterschiedlichen Bereichen, die zum Forschungsgebiet publiziert haben. Darüber hinaus wurden Künstler:innen eingeladen, deren Arbeiten vor Gericht verhandelt wurden bzw. die sich künstlerisch mit Gerichtsprozessen beschäftigt haben.

Weitere Informationen und das Programm finden Sie auf der Seite der Konferenz.

Organisiert von Sylvia Sasse, Matthias Meindl und Sandra Frimmel.

Beiträge von Mitarbeitenden

Sylvia Sasse

  • Performativität ersetzt Hermeneutik. Affektive Zeugenschaft im Gerichtssaal, in: Bezeugen. Mediale, forensische und kulturelle Praktiken der Zeugenschaft, hg. von Tuna Zeynep, Mona Wischoff, Isabelle Zinsmaier, Berlin: Metzler 2022, 87-104.
  • Gianna Frölicher, Sylvia Sasse, "Theater mit Unsichtbaren. Mikroben vor Gericht", in: Geschichte der Gegenwart, 26.4.2020.
  • Kunst vor Gericht, Kunst im Gericht und Kunst als Gericht. Die Künstlerische (Rück-)Aneignungen von Gerichtsprozessen, in Sandra Frimmel, Mara Traumane (ed.), Kunst vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal (Berlin: Matthes&Seitz 2018), 219-234.
  • Gianna Frölicher, Sylvia Sasse, "Das ‚richtige‘ Sehen: Zeugen im sowjetischen Gerichtstheater", in:  Sybille Krämer, Sibylle Schmidt, Zeugen in der Kunst, Paderborn 2017, 61-83.
  • "Den Staat an seine Gesetze erinnern. Dissidenz als Wissen vom Recht", in: Wissen, was Recht ist, ed. by Svenja Goltermann und Monika Dommann, Zürich, Berlin: diaphanes 2015, 107-133.
  • Gerichtstheater. Drei sowjetische Agitgerichte, hg. von Gianna Frölicher und Sylvia Sasse, Leipzig: LLV 2015.
  • "'Words are no deeds.' Trials against literature in the Soviet Union", in: Ralf Grüttemeier, Ted Laros (Hg.), Literary trials: exceptio artis and theories of literature in court, London, New Delhi, New York, Sidney 2015.

In Vorbereitung:

  • Matthias Meindl, Sylvia Sasse, Literatur vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal, Berlin: Matthes & Seitz 2021. 

Sandra Frimmel:

  • Art Judgements. Art on Trial in Russia after Perestroika, translated from the German by Michael Turnbull, Vernon Press 2021.
  • »Beurteilen oder Verurteilen? Vom Richten über Kunst und Künstler im sowjetischen Kunstbetrieb«, in Zeitschrift für Kunstgeschichte 82. Band 2019, S. 554–575
  • Sandra Frimmel, Mara Traumane (Hg.): Kunst vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal, Berlin: Matthes & Seitz 2018. (Link)
  • Kunsturteile. Gerichtsprozesse gegen Kunst, Künstler und Kuratoren in Russland nach der Perestroika, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2015.
  • Der brennende Fehdehandschuh. Überlegungen zu Pjotr Pawlenskis Aktion ‘Bedrohung’“, in taz 27.11.2015.
  • "Zweierlei Bilder. Zur Diskussion über Kultbild und Kunstwerk in den russischen Kunstgerichtsprozessen der 2000er Jahre", 33. Deutscher Kunsthistorikertag 2015, Universität Mainz 24.-28. März 2015.
  • "Von Künstlern, Kuratoren, Gotteslästerern und Hooligans", in Rau, Milo (Hg.): Die Zürcher Prozesse/Die Moskauer Prozesse, Berlin: Verbrecher Verlag 2014, S. 13-27
  • "Iskusstvo 'na polke'. Ob istorii otnošenij dejatelej iskusstva i vlasti v raznych stranach mira", National Centre for Contemporary Arts, Moskau 5.03.2013.
  • Wiktoria Lomasko, Anton Nikolajew: Verbotene Kunst, Eine Moskauer Ausstellung, aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Sandra Frimmel, Berlin, Matthes & Seitz, 2012.
  • "Was soll und darf die Kunst heute?", bei Power and Dissent. Szenischer Kongress, Deutsches Nationaltheater Weimar / e-werk, 19.-21.10.2012
  • "Schlangenbrut, Verschwörer und (de)maskierte Feinde. Über Ähnlichkeiten zwischen den heutigen russischen Kunstgerichtsprozessen und den sowjetischen Schauprozessen", Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, 17.1.2012
  • „Sud nad iskusstvom oder Wie im Gerichtsprozess gegen die Ausstellung Verbotene Kunst 2006 aus einem juristischen Prozess ein moralischer wurde“, in Slavica TerGestina 1 (2011), S. 2-33.
  • „Teatr na Taganke – reportaž odnogo processa“, in Viktoria Lomasko, Anton Nikolaev: Zapretnoe iskusstvo, Sankt Petersburg 2011, S. 144-155.
  • "Der Fall Verbotene Kunst 2006 - Gerichtsverhandlung oder Theaterstück?", bei Kunst und Literatur vor Gericht. Ein Gespräch, Kulturzentrum bei den Minoriten Graz 26.11.2011
  • "Von Perestrojka bis Putin. Die russische Gegenwartskunst zwischen künstlerischer Autonomie und staatlicher Kontrolle", in Arina Kowner (Hg.): Passion Bild. Russische Kunst seit 1970. Die Sammlung Arina Kowner, Zürich 2010, 58-69.
  • „Kunstkollisionen. Die Gegenwartskunst in Russland zwischen der Förderung des Neuen und Forderungen nach Traditionsbewahrung“, in Modernisierung in Ost- und Ostmitteleuropa? Dynamiken innerstaatlichen und internationalen Wandels, Bremen 2008, 99-103.
  • Wie frei sind die Künste im heutigen Russland? kultura. Russland-Kulturanalysen 4/2007, engl./dtsch.
  • „Grenzenlose Freiheit? Wie die Kunstfreiheit in Russland mit rechtlichen Mitteln abgesteckt werden soll“, in kultura. Russland-Kulturanalysen 4/2007, 16-22, engl./dtsch.
  • „Demonstrationen gegen die Kunst. Über die politische Instrumentalisierung von Kunst in Russland und in den USA“, in DeMonstration. Deutsch-russisches Symposium, Dresden 2006.

Matthias Meindl

  • "'Brechreiz erregend', nicht 'aphrodisierend' - die widersprüchliche Rolle des Ekels in amerikanischen Rechtsprechung über Obscenity. Mit einem Epilog zur post-/sowjetischen Situation." In: Meindl/Sasse (Hg.). 2020 [in Red.].
  • "Augenzeugen am Drehort: mediale Aspekte des Prozesses gegen Pussy Riot." Goethe Institut. Rückeroberung des Öffentlichen - Kultur im Spannungsfeld von öffentlichem und digitalem Raum, 2013 .http://www.goethe.de/ges/prj/rue/mag/de10865701.htm [Letzter Zugriff: 13.02.2020].
  • "Wie viel Punk steckt in Pussy Rock?". taz, Berlin, 17.8.2012
  • "Die Pornographie-Vorwürfe in der russischen Literatur am Anfang der 2000er Jahre." Vortrag beim Symposium "Kunst und Literatur vor Gericht" im Kulturzentrum der Minoriten, Graz, am 26.11.2011
  • "Maschinengewehre und ein Wettbewerb der Revolutionsprojekte: Der Prozess gegen Ėduard Limonov." Slavica Tergestina 13:2011, 42-81.
  • "Gerichtsspiel" nicht "Schauprozess": attac-Bankentribunal, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, 9.-11. April 2010. Z 82 (Juni). 163-165.

In Vorbereitung:

  • Matthias Meindl, Sylvia Sasse, Literatur vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal, Berlin: Matthes & Seitz 2021. 

Gianna Frölicher

  • Gianna Frölicher, "'Richtet über euch selbst!', Sowjetisches Gerichtstheater der 1920er und frühen 1930er Jahre zwischen Theater und theatraler Justiz (Dissertation Zürich 2021)
  • Gianna Frölicher, Sylvia Sasse, "Das ‚richtige‘ Sehen: Zeugen im sowjetischen Gerichtstheater", in:  Sybille Krämer, Sibyyle Schmidt, Zeugen in der Kunst, Paderborn: Wilhelm Fink, 61-83.
  • Gianna Frölicher, Sylvia Sasse, "Theater mit Unsichtbaren. Mikroben vor Gericht", in: Geschichte der Gegenwart, 26.4.2020.

Mara Traumane

  • Sandra Frimmel, Mara Traumane (Hg.): Kunst vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal, Berlin: Matthes & Seitz 2018. (Link)

Weiterführende Informationen

Kunst vor Gericht

Kunst vor Gericht

Sandra Frimmel, Mara Traumane (Hg.): Kunst vor Gericht. Ästhetische Debatten im Gerichtssaal, Berlin: Matthes & Seitz 2018.

Kunsturteile, Frimmel

Buch

Sandra Frimmel, Kunsturteile. Gerichtsprozesse gegen Kunst, Künstler und Kuratoren in Russland nach der Perestrojka, Köln: Böhlau 2015.

Frölicher, Sasse, Gerichtstheater

Buch

Gianna Frölicher und Sylvia Sasse (Hg.): Gerichtstheater. Drei sowjetische Agitgerichte, Leipzig: LLV 2015.

Verbotene Kunst

Buch

Wiktoria Lomasko, Verbotene Kunst. Eine Moskauer Ausstellung, hg. und aus Dem Russischen von Sandra Frimmel, Berlin: Matthes & Seitz 2013.

Unimagazin

Unimagazin

Artikel über das Projekt "Kunst und Literatur vor Gericht" im Unimagazin

Unimagazin 2011 (PDF, 1 MB)

Nemesis

Schritte der Nemesis