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Slavisches Seminar

Dysfunktionale Desinformation. Karikaturen gegen abstrakte Kunst im Kalten Krieg

Das Projekt beschäftigt sich mit Bild- und Textsatire gegen abstrakte, ‚westlich-bourgeoise‘ Kunst. Der Fokus liegt auf Russland zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und dem Ende des politischen Tauwetters 1968. Ausserdem wird Bild- und Textsatire aus einigen ehemaligen Sowjetrepubliken sowie Ostblock-Staaten einbezogen (bspw. Ukraine, Belarus, DDR, Georgien, Ungarn, Bulgarien). Hierdurch soll die Vernetzung der satirischen Bildwelten gezeigt werden.

Es geht in dem Projekt darum, wie durch die Propaganda zur Verunglimpfung westlicher Kunst in Form von Satire gleichzeitig – als Humor getarnt – ein enormes Wissen über die verschmähte Kunst vermittelt wurde. Satire im Allgemeinen und Karikaturen im Speziellen fungierten – das ist die Kernthese des Projekts – als Doppelagenten, die zunächst vorstellen und vermitteln mussten, was sie im gleichen Zug abwerten bzw. lächerlich machen sollten. Karikaturen wurden nicht nur von Künstlern gezeichnet, sondern auch von den Leser:innen der Satiremagazine. So wurde die visuelle Alphabetisierung der Bevölkerung als eine paradoxe Kippfigur zwischen satirischer Erzeugung und Vernichtung durch das Lachen vollzogen. Die Propaganda wurde zu einem pädagogischen Querschläger. Vielleicht kann man sogar von einer alternativen oder parallelen Kunstgeschichtsschreibung in der Satire sprechen.

Julij Ganf: „Der künstlerische Erfolg des Mr. Formalister, oder Es gäbe kein Glück, wenn das Unglück nicht geholfen hätte“, in Krokodil 1952/23, 8–9.
Julij Ganf: „Der künstlerische Erfolg des Mr. Formalister, oder Es gäbe kein Glück, wenn das Unglück nicht geholfen hätte“, in Krokodil 1952/23, 8–9.

Im Zentrum der geplanten Publikation steht das Lexikon des Abstraktionismus. Dieses Lexikon über einen imaginären westlichen Kunstbetrieb speist sich aus den Informationen in der Bild- und Textsatire und lebt von dem Nebeneinander von verlässlichen und unzuverlässigen Informationen. Es soll so die damalige Wissenswelt erfahrbar machen und den sowjetischen Referenzrahmen für Kunstdebatten in einer breiten Öffentlichkeit liefern. Ausgehend von diesem Buch im Buch werden die einzelnen Fragestellungen aufgefächert, darunter: Mithilfe welcher Schemata und Topoi wurde der unzulässige Kunstbegriff in der Bevölkerung eingeübt? In welchem Wechselverhältnis stehen Ablehnung und Aneignung dieses Kunstbegriffs insbesondere durch das Lachen? Inwiefern bezogen sich Osten und Westen mit der abstrakten Kunst auf das gleiche Feindbild? Und ganz zentral: Welche Desinformationsstrategien aus dem tagespolitischen Bereich, die damals und heute nach wie vor angewandt werden, finden sich in der Bild- und Textsatire? Auf diese Weise kann Kunst als Kriegswerkzeug analysiert werden – und das bei Weitem nicht nur im Kalten Krieg.

Publikationen

"Karikaturen als Doppelagenten. Abstrakte Kunst in der sowjetischen Satire", in Urteilen und Werten, hg. von Anja Burghardt und Nora Schulz, Bielfeld: Transcript 2022, S. 275–312.

Das Postdoc-Projekt entsteht innerhalb des SNF-Projekts Künste und Desinformation.

Postdoc-Projekt von Sandra Frimmel.