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SNF-Projekt ab August 2022
Kunst und Desinformation.
Das Forschungsprojekt konzentriert sich auf das Verhältnis von Desinformation und Kunst in Osteuropa während des Kalten Kriegs und in der Gegenwart in zwei miteinander verknüpften Forschungsperspektiven: 1. Die Künste als Ziel von Desinformation; 2. Künstlerische Kritik von Desinformation.
Bei der Forschung soll die Möglichkeit der Recherche in den ehemaligen Geheimdienstarchiven, die nach 1989 schrittweise für die Forschung in vielen Staaten Osteuropas freigegeben worden sind, genutzt werden. Das Ziel ist, die Interaktion zwischen sichtbarer staatlicher Propaganda, z.B. in Satiren über westliche oder experimentelle Kunst, und verdeckter Desinformation durch «aktive Massnahmen» von Geheimpolizei bzw. Staatssicherheit zu untersuchen. Tausende von Aktenmetern geben heute Auskunft über geheimdienstliche Massnahmen (und deren Scheitern), die sich gegen Kunstströmungen, Gattungen, einzelne Ausstellungen, Aktionen, Publikationen, Verlage oder Personen gerichtet haben. Die Akten zeigen, inwieweit geheimdienstliche und staatliche Akteure ‹feindliche› Underground-Kunst imitiert und subvertiert haben, um sie zu diskreditieren, zu kriminalisieren oder zu pathologisieren. Das Projekt will sich mit diesen staatlichen Subversionen befassen, aber auch zeigen, inwiefern Künstler:innen auf die Anwesenheit der «Kunsthistoriker in Zivil» (d.h. Inoffizielle Mitarbeiter, Spione, Beobachterinnen) selbst wiederum mit subversiven Gegenaktionen reagiert haben, um so Desinformation, die eigentlich gegen sie gerichtet war, für eigene Zwecke umzunutzen.
Darüber hinaus will das Projekt auch die Rolle der Künstler:innen bei der Recherche und Forschung in den Geheimdienstarchiven untersuchen. Gerade künstlerische Projekte (Analyse der eigenen Akten, Schaffung sekundärer, künstlerischer Archive, Erforschung visueller serieller Formen der Überwachung) haben seit 1989 zur Revision kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse über die medialen, performativen und rhetorischen Verfahren und Techniken von Staatssicherheit und Geheimpolizei wesentlich beigetragen. Und auch in der Gegenwart sind es häufig Künstler:innen und Künstler, die sich mit staatlichen Desinformationspraktiken auseinandersetzen, die z.B. mit Praktiken digitaler Bildforensik und -produktion eine kritische Analyse der Herstellung, Distribution und Lektüre von Desinformation betreiben.
Diese konsequente Betrachtung der Interaktion von staatlicher und künstlerischer Subversion soll einen Baustein dafür liefern, das Verhältnis Desinformation und Propaganda im Kalten Krieg besser zu verstehen und die Erkenntnisse für die Analyse von gegenwärtiger Desinformation nutzbar zu machen.
Innerhalb des SNF-Projekts entstehen verschiedene einzelne Projekte, die sich mit Kunst und Desinformation aus verschiedenen Perspektiven beschäftigen:
Dissertationsprojekt von Muriel Fischer: Bilder (im) Krieg
Postdoc-Projekt von Sandra Frimmel: Dysfunktionale Desinformation. Karikaturen gegen abstrakte Kunst im Kalten Krieg