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Der vom russischen Präsidenten Vladimir Putin begonnene Krieg gegen die Ukraine löst viele Gefühle aus: Verzweiflung, Angst, Wut, Fassungslosigkeit. Dennoch ist es von ausserhalb schwierig nachzuvollziehen, wie es den betroffenen Menschen in der Ukraine geht. Einen Zugang bieten Literatur, Film und Theater. Sie sind Quellen, die uns aufzeigen können, was seit 2014 in der Ukraine passiert. Sylvia Sasse schreibt dazu: "Sie sind Zeug:innen, sie erzählen, was kaum berichtet werden kann, sie schreiben auch dann, wenn die Medien ihre Aufmerksamkeit wieder auf andere Ereignisse richten. Sie führen uns vor, wie sehr die verwendete Sprache unsere Perspektive lenkt und wie Desinformation funktioniert."
Das Slavische Seminar möchte deshalb auf Literatur, Theaterproduktionen und Filme aus der Ukraine hinweisen, die sich seit 2014 mit dem Krieg auseinandersetzen. Daneben werden auf dieser Seite auch Texte und Statements von Autor:innen und Künstler:innen zur aktuellen Situation gesammelt und vorgestellt.
Stanislaw Aseyev: Der helle Weg. Geschichte eines Konzentrationslagers im Donbass 2017-2019, Ibidem 2021.
2017 wird der ukrainische Journalist Stanislav Aseyev im okkupierten Donezk verhaftet und wegen "Extremismus" sowie "Spionage" zu 15 Jahren Haft verurteilt - unter anderem, weil er in seinen Reportagen aus dem Kriegsgebiet das Wort "Donezker Volksrepublik" in Anführungszeichen gesetzt hatte. Zweieinhalb Jahre verbringt er in Haft, den Großteil in der so genannten "Isolation", einem Donezker Foltergefängnis mit der Adresse Heller Weg 3. Die dortige ehemalige Fabrik wurde 2014 in ein Konzentrationslager verwandelt und steht seither unter Moskauer Kontrolle. Hinter dem Gefängniszaun gelten keine Gesetze, das Leben ist bestimmt von Demütigung, Angst und Folter. Um in der Hölle des Lagers überleben zu können, schreibt Aseyev, wann immer er kann: auf Pappfetzen und Papierresten. Er lernt Textfragmente auswendig und sagt sie vor sich her. So kann er sie bewahren, obwohl ihm seine Aufzeichnungen später abgenommen werden. Offen, tiefgründig und emotional berichtet der Journalist von Leid,
das im heutigen Europa unvorstellbar scheint. Seine Mission ist es zu überleben, um berichten zu können. Ende 2019 kommt Aseyev durch einen Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine frei. Das Buch legt Zeugnis ab über ein heutiges Konzentrationslager, von dem nur wenige wissen, obwohl das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte dortige Folterungen dokumentiert hat. Diese Erzählung handelt davon, wie es gelingen kann, menschlich zu bleiben unter unmenschlichen Bedingungen; von Glauben,Vergebung, Hass - und dem Leben danach.Stanislav Aseyev arbeitet seit 2020 als Experte für die bestetzten Gebiete des Donbass beim Ukrainischen Institut für die Zukunft (UIF) Kyjiw.
Yevgenia Belorusets, Glückliche Fälle, aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe, Matthes & Seitz 2020.
Gespräche und Begegnungen sind das Material, mit dem Yevgenia Belorusets in einer eindringlichen Sprache und mit fotografischem Blick das Bild eines Landes einfängt, in dem Krieg herrscht und die unverwüstliche Alltagsroutine zur Groteske verkommt. Sie heißen Swetlana, Lena oder Xenia. Sie arbeiten im Nagelstudio, plaudern im Café oder bereiten die Revolution vor. Das Leben von Belorusets ukrainischen Protagonistinnen geht seinen Gang, in den Städten wie auf dem Land. Nur selten, schemenhaft, schieben sie sich in die äußeren Winkel des vom Alltag ausgefüllten Blickfelds – die Bürgerwehren, die Soldaten, das Blut. Die Realität des seit Jahren in der Ostukraine schwelenden Kriegs sickert langsam, aber stetig in das Leben der Menschen, an dem uns Belorusets’ in teils hyperrealistisch detaillierten, teils traumartigen und oft absurden Szenen teilhaben lässt. So eröffnet sich das Panorama einer Gesellschaft, die den Ausnahmezustand als Normalität akzeptiert hat.
Andrej Kurkov: Graue Bienen. Aus dem Russischen von Johanna Marx und Sabine Grebing, Diogenes 2019.
Der Bienenzüchter Sergej lebt im Donas, wo ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten Tag für Tag aufeinander schiessen. Er überlebt nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen - sich raushalten. Ihn interessiert nur das Wohlergehen seiner Bienen.
Serhij Zhadan: Internat, aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr, Suhrkamp 2019
Zhadan erzählt, wie sich die vertraute Umgebung im Donbass in ein unheimliches Territorium verwandelt.
MAJDAN! Ukraine. Europa. Herausgegeben von Claudia Dathe und Andreas Rostek, Edition Fototapeta 2014.
Allein in einer Nacht im Februar am Majdan sind es mindestens 25 Menschen, die bei den Zusammenstößen ums Leben kommen, seit Beginn der Proteste in der Ukraine sterben mehr als 80 Menschen, über Tausend werden verletzt. Erst die vielen Opfer – so die brutale Logik dieses Aufstands – brachten das Machtsystem des Wiktor Janukowytsch zum Einsturz. Mit den Schüssen vom Majdan besiegelte das Regime sein eigenes Ende.
In diesem Buch kommen vor allem Stimmen aus der Ukraine selbst zu Wort, Schriftstellerinnen, Dichter, Intellektuelle. Aber auch Autoren aus anderen Ländern beschreiben den historischen Prozess. Das Buch wird zur Momentaufnahme eines Aufstands. Die Zeit, um die es geht ist: jetzt. Mit dem Buch betreiben wir Geschichtsschreibung des Augenblicks.
Serhij Zhadan: Warum ich nicht im Netz bin, aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe und Esther Kinsky, Suhrkamp 2016
Seit Sommer 2014 notiert Serhij Zhadan, was ihm auf seinen Reisen ins ostukrainische Kriegsgebiet widerfährt. Es sind lyrische Momentaufnahmen, die das Essentielle jäh aufscheinen lassen, Kürzestgeschichten über Menschen, die plötzlich auf zwei verfeindeten Seiten stehen oder nicht mehr wissen, wo sie hingehören und was aus ihnen werden soll. Wenige Strophen vermitteln etwas von der Tragödie Millionen Einzelner.
Yevgenia Belorusets im Spiegel: Tagebuch aus Kiev (2022)
Tagebuch Yuri Durkot aus der Ukraine: Kriegstagebuch aus der Ukraine (2022)
Posts von Serhiy Žadan: Facebook
Vladimir Sorokin: Putin ist geliefert (2022)
Lev Rubinstejn (übersetzt von декодер): Krieg der Sprache (2022)
Ljudmila Ulickaja gegen den Krieg in der Ukraine, übersetzt von Julia Steck: Schmerz. Angst. Scham (PDF, 84 KB) (Link zum Artikel funktioniert nicht mehr. Der Originaltext ist unterhalb der deutschen Übersetzung zu finden)
Oksana Timofeeva: Gefangen zwischen Krieg und Terror (2022)
Theatre of Displaced People (Natalya Vorožbyt, Georg Genoux)
Die Theatervorstellung Tango des Todes inszenierte die Geschichtslehrerin Olga Bakhuka mit ihrer 10. Klasse an der Schule Nr.3 in Nikolajewka (Donezker Gebiet).
Der Film “Helden” ist jetzt mit englischen Untertiteln zu sehen, ab dem 04. Februar um 19.00 Uhr bis zum 14. Februar 2022, auf der neuen der neuen Youtube Plattform “Theatre 4 National Affairs”: https://national4affairs.com
Sylvia Sasse im Gespräch mit Georg Genoux: Binnenflüchtlinge in der Ukraine. Wie ein Theaterprojekt mit Flüchtlingen arbeitet (2016)
Tatjana Hofmann, Literaturnye ėtnografii Ukrainy. Proza 1991-2011 gg. Aus dem Dt. von Tat’jana Nabatnikova, St. Petersburg: Aletejja, 2016. (448 S.)
Tatjana Hofmann, Literarische Ethnografien der Ukraine. Prosa nach 1991, Basel: Schwabe, 2014. (500 S.)
Tatjana Hofmann, Ways of Life at a Crossroads. Aksënov’s Ostrov Krym (Island of Crimea)”, in: Scheide, Carmen; Collmer, Peter (Hg.): Euxeinos. Pop and Politics in Late Soviet Society 25–26.8 (2018), 117–132.
Tatjana Hofmann, „Mychajl’ Semenkos ukrainischer Futurismus zwischen west- und osteuropäischer Avantgarde“, in: Zeitschrift für Slawistik 61.2 (2016), 229–248.
Tatjana Hofmann, „Vision Freiheit. Konzeptionen der Ostukraine vor dem Krieg am Beispiel von STAN und Serhij Žadan“, in: Zeitschrift für Slavische Philologie 72.1 (2016), 143–178.
Tatjana Hofmann, „Oksana Zabužkos Kulturnationalismus“, in: Wiener Slawistischer Almanach 71 (2013), 363–387.
Tatjana Hofmann, „Postfeministische Lyrik aus der Ukraine: Bohdana Matijaš und Elena Zaslavskaja“, in: Scando- Slavica 56.2 (2011), 228–250.
Tatjana Hofmann, „‘Explorations’ on Lviv by Yu. Andrukhovych and on Kharkiv by S. Zhadan. Literature as a Medium for Urban Studies?”, in: Schid/Zachid 15 (2011), 79–95.
Magdalena Kaltseis, TV-Talkshows als Propagandainstrument Russlands im Ukrainekonflikt (2014) (im Erscheinen 2022).
Magdalena Marszalek, Sylvia Sasse, Geopoetiken. Geographische Entwürfe in den mittel- und osteuropäischen Literaturen, Kadmos 2010.