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Der mediale Blick als Sozialkritik? Die Reiseskizze zu Beginn und nach dem Ende der Sowjetära (Arbeitstitel) untersucht mediale Praktiken reisender Kulturpräsentation in der frühen Sowjetunion anhand topografischer Arbeiten (Reiseskizzen, Reportagen, Fotografien, Filmskripte und Dokumentarfilme) im Kontext der mobilen Raum-Poetik der postrevolutionären Avantgarde. Sie versteht sich als Beitrag zum Verständnis einer der größten Utopien des 20. Jahrhunderts und spannt einen vergleichenden Bogen zu dokumentarischen Reisepräsentationen in postsowjetischer Zeit.
Die Studie nimmt – mit einem Akzent auf Sergej Tret’jakovs Bedeutung für die Entwicklung des sowjetischen Kulturjournalismus und über ihn hinaus auf Kušner, Prišvin, Pil’njak, Šaginjan, Inber sowie Vertov und Šnejderov – die Rolle der Beobachtung beim Schreiben, Fotografieren und Filmen in Bewegung als faktografisches, politisches bis reflexives Erkundungsmittel sowjetischen Raums in den Blick. Dies lässt Rückschlüsse auf die poetische, mediale und ideologische Konzeptualisierung des Raums ebenso wie auf die Funktionen des Schriftstellers (Forscher, Ethnograf, Journalist, Agitator, Abenteurer), auf einzelne Poetiken und nicht zuletzt auf die hybride Gattung der Reiseskizze zu. Letztere steht zwischen Szientismus und Popularisierung, Empirie und Kunst, strategischer Erschließung und engagierter Sozialkritik.
Die Kategorisierung der Reiseskizze vor dem Hintergrund der Gattungsevolution des sozialistischen očerk der 1920er und 1930er Jahre und ihrer diachronen Verortung (Aufklärung, Natürliche Schule), zielt auf eine Bestimmung von Figuren, Schrift- und Bildformaten an der Grenze zwischen kulturvermittelndem, journalistischem und künstlerischem Dokumentarismus. Die Genre- und Funktionsüberschneidungen der Reiseskizze mit anderen Gattungen und Medien legt einen immanenten wie auch kultursemiotischen Ansatz, der geopoetische und intermediale Wechselwirkungen neben der Prozessualität von Dokumentation und Bewegung berücksichtigt.
Das dazugehörige Editionsprojekt von S. M. Tret'jakovs Reiseprosa auf Deutsch und Russisch findet in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Susanne Strätling (Universität Potsdam) statt.
Projektverantwortliche: Prof. Dr. Sylvia Sasse
Habilitandin: Dr. Tatjana Hofmann