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Seit ein paar Jahren häufen sich Meldungen aus Informatik, Medizin und Physik über die Möglichkeiten, durch Gedanken Maschinen steuern und künstliche Gliedmassen bewegen zu können. Die Meldungen kommen der Entzauberung eines Phänomens gleich, das die wissenschaftliche und literarische Phantastik des 20. Jahrhunderts stark geprägt hat.
Im Unterschied zur Forschung Ende des 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist heutzutage nicht mehr von einer unmittelbaren Übertragbarkeit von Gedanken zwischen Menschen oder von Mensch zu Objekt die Rede, sondern von einer mittelbaren, die durch Prothesen erfolgt.
Dabei handelt es sich um Elektrodenkappen, die Hirnsignale für die Steuerung von Maschinen oder Körperteilen nutzbar machen. Auf der letzten Computermesse Cebit zeigten Wissenschaftler vom Projekt „Brain@work“ der TU Berlin ein Experiment, bei dem ein Mensch mit der Kraft seiner Gedanken einen Flipperautomaten steuern konnte. Stundenlang, so heißt es in der Pressemeldung, habe er vor dem Spielautomaten gesessen und geflippert, während seine Hände auf seinen Knien ruhten. Was hier öffentlich an einem Glücksspielautomaten als bloßes Vergnügen demonstriert wurde, verspricht logischerweise ganzen Industriezweigen, aber auch der Rehabilitationsmedizin Fortschritte. In anderen Meldungen heißt es, dass es in Experimenten mit Affen möglich geworden sei, einen Cursor durch Gehirnaktivität zu steuern. In diesem Fall hatte man auf Elektrodenkappen verzichtet und den Affen Elektroden direkt in das Bewegungszentrum des Gehirns eingesetzt. Die Versuche an den Affen seien dazu da, ein vergleichbares Verfahren zu entwickeln, um gelähmte Menschen in die Lage zu versetzen, einen Computer zu bedienen, ohne die Hand zur Hilfe nehmen zu müssen.
Die Entzauberung der Gedankenübertragung in den Wissenschaften hat allerdings wenig Einfluss auf das phantastische Potential des Phänomens. Seit ein paar Jahren interessierte sich auch das Showgeschäft (Next Uri Geller) wieder für parawissenschaftliche Gedankenübertragungsphänomene, für Telekinese und Telepathie.
Für die geplante Konferenz interessieren uns nun weniger die aktuellen Erkenntnisse als vielmehr das medientheoretische und fiktionale Potential sowie das wissenschaftliche und politische Imaginäre, das die Forschungen zur Gedankenübertragung seit ihrer „Entdeckung“ begleitet hat.
Damals wie heute kommt Gedankenübertragung nicht ohne Demonstrationen ihres Gelingens aus. Die unterschiedlichen Darstellungs- und Inszenierungstechniken, Notationsmaschinen, Rhetoriken, Narrative sind nötig, um Gedankenübertragung wahrnehmbar (sichtbar, lesbar, spürbar) zu machen und durch die Wahrnehmbarkeit zu verifizieren. Das Phänomen der Gedankenübertragung war deshalb schon von Beginn an mit unterschiedlichen Künsten verbunden, um deren visuelle, akustische und performative Darstellungsweisen zu nutzen. Umgekehrt arbeitete das fiktionale Potential der Gedankenübertragung auch den Künsten zu, es provozierte neue künstlerische Verfahren und die Verwendung ungewöhnlicher medialer Techniken.
Vor dem Hintergrund diese Überlegungen scheinen uns insbesondere folgende Fragen interessant: Mit welchen Rhetoriken operieren die wissenschaftlichen Arbeiten und welche Funktion erfüllt die Möglichkeit einer Gedankenübertragung im disziplinären Narrativ unterschiedlicher Wissenschaftszweige? Welches fiktionale Potential ruft die Gedankenübertragung in den Künsten, in der Politik und auch in der Wissenschaft selbst hervor? Welche sprachphilosophischen oder medientheoretischen Konzeptionen basieren auf Überlegungen zur Gedankenübertragung? Wie verhält sich das Konzept der telepathischen Übertragung zu anderen Übertragungsphänomenen? Welche Apparaturen und Notationstechniken (Übersetzungsapparate) wurden entwickelt, um Gedankenübertragung zu visualisieren, hörbar, verstehbar oder fühlbar zu machen? Auf welche Verfahren der Sichtbarmachung aus den Künsten oder aus anderen Wissenschaften wurde dabei zurückgegriffen? Inwiefern korrelieren Theaterästhetik und das performative Setting von Gedankenübertragungsexperimenten?
Link zum Artikel im UniMagazin im Januar 2011
Radiobeitrag